Sonntag, 22. April 2007

vom warten und gewartet werden.

Semesterferien. Freitag. 8 Uhr morgens. Der Tag beginnt neblig und ungemütlich. Im Geiste schlage ich so eben die Decke ein zweites Mal über mein Haupt, ein bösartiges Zischen presses ich fauchend zwischen den noch viel zu schlaffen Lippen hervor: Es gilt der Sonne, die wärmend meine Lieder neckt und in ihrer übereifrigen Akkuratesse den Tag beginnen lässt. Nette Vorstellung! Sie gewinnt überaus an Wert, als ich mir ins Gedächtnis rufe, dass sie auch nur eine dieser Vorstellungen ist, ein Phantasma während ich mich meinen trägen Körper stetigen Schrittes auf zum Westbahnhof schleppe. Nur die Straße runter, unter der Brücke durch und hinter ihr gleich links… Der Gedanke an die dort schon wartende Mitfahrgelegenheit tröstest sehr und mit ein wenig Glück (also dem Gegenteil von dem, was der Morgen bisher so bot), erhasche ich einen Sitz auf der Rückbank und bin nicht zu allem Überfluss in diesem Frage-Antwort-Quiz auf dem Beifahrersitz gefangen.
Doch überhaupt: Erübrigt sich da nicht erst, das unsinnige Suffix des Wortes Semesterferien in seiner ganzen Süffisance zu benützen? „Vorgauklung falscher Tatsachen“ träfe es da wohl eher. Bezeichnenderweise ist es sogleich eine Premiere – und das verwundert mich jetzt erstmalig – denn ich bin nicht einmal während des Semesters, also während der Zeit eigentlichen Arbeitens, zu solch nächtlicher Stunde unterwegs gewesen. Naja, selbst Einstein wusste ja über die Theorie der Relativität der Zeit bescheid; ich erlebe sie nur – und das ist im Eigentlichen schon recht Bedenklich an der Uni, ein bisschen waghalsig möchte man meinen – praxisnah, und das, ohne gefragt zu werden…Heureka! Nach Leipzig führt mich der Weg.
Bei genauerer Betrachtung, dessen ich in meinem morgendlichen Verdruss nicht im Stande bin, fing der Tag gar nicht allzu schlecht an – Moment: doch, das fing er gewiss. Es wird nur der Espresso dopio sein, der nun langsam Hochstimmung aufkommen lässt. Das Koffein hat dann wohl seinen Weg erfolgreich gemeistert, ist da wo es erwartet wird, es kommt zur rechten Zeit zum rechten Ort… Ich bin im Übrigen auch längst am Westbahnhof angelangt, zur rechten Zeit am rechten Ort… wie das Koffein. Meine Mitfahrgelegenheit tut sich anscheinend schwer, sich der Tugend der Rechtzeitigkeit zu ergeben. Für einen Moment denke ich: 'Ja stürzt er denn keinen Espresso an einem so verschlafenen Morgen? Glaub ich nicht! Das können wir ja später ausklamüsern, wer hier was nicht getrunken hat.. Ihn anrufen wo er denn bleibe?' Nichts da, das würde mich sicherlich nur deprimieren, wenn er mir dann sagen würde, dass er noch etwas brauche. Und überhaupt, mein ipod mini ist ja auch noch mit von der Partei. Es läuft eben noch der Schluss von Phoenix: one time too many. Und ich denke mir ‚na ist ja super’. Es ist zu Ende und als statt wie erwartet lost and found meinen aufgezwungenen Status als Wartender noch bezeichnender beschreiben will, bemerke ich, dass ich shuffle am Vortag eingestellt hatte.
‚Na herrliches Missgeschick, jetzt auch noch überrascht zu werden. Ich freu mich schon drauf, wer sich als nächstes erbarmen wird, mir den Morgen weiter zu versalzen.’
Freudigen Erwartens vernehme ich, wie sollte es auch anders kommen, die Anfangsklänge von Beethovens Ode an die Freude. Und das soll jetzt so weiter gehen bis der Typ hier endlich seinen Kia den Berg hinaufgelenkt hat? ‚Freude schöner Götterfunken….’ Ich kann das Crescendo schon nicht mehr abwarten. Und da kommt es: Ein wenig trantütig blicke ich drein, als der Chor aus Leibeskräften in meine Ohren brüllt; sich einen Wettkampf der Glückseeligkeit in Lautstärke und Intensität mit den donnernden Begleitinstrumenten liefert. Ein Schlagabtausch des Frohlockens und Himmelhochjauchzens. Wie ein Martyrer fühle ich mich, ich opfere mich für die, die nicht so früh von ihrer Umgebung gepeinigt werden.
Auf einmal schwingt mein Gefühl um und ich bin überwältigt von Glück: Warum? Ich fahre nach Leipzig zu meiner Prinzessin. Die Vorfreude hat mich gepackt und eine Vermutung beschleicht mich, dass Beethoven nicht ganz unschuldig dabei war… Er donnert noch immer in meinem Kopf, hat nun aber ein ganz anderes Vorzeichen.

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